Stand: 16.05.2024 16:11 Uhr

Kolumne: Die Verdrängung der Nacht

von Stella Kennedy

Vor einigen Tagen schauten wir alle nach oben. Die bunten Polarlichter faszinierten uns und die Medien waren voll damit. Unsere Kolumnistin argumentiert, wir sollten öfter hochschauen. Solange wir dort noch etwas sehen.

Als die zwei Freunde Karim Akhtar, 22, und Sully Laurent, 21 am Freitag vorletzter Woche auf dem Heimweg einer feuchtfröhlichen Party-Nacht in Norwich, eine Uni-Stadt im Osten Englands waren, sahen sie Lichter am Himmel. Zunächst dachten sie, es handele sich um die Polarlichter, die aufgrund eines seltenen Sonnensturms bei uns, aber auch in ganz Großbritannien auftauchten. Ernüchternd stellten jedoch bald fest, dass es sich tatsächlich um ein Hotel in der Duke Street in Norwich handelte. Die Verwechslungsgeschichte der beiden und ihr viral gegangenes TikTok-Video erscheinen auf den ersten Blick witzig. Auf den zweiten Blick steht ihr Erlebnis aber für ein besorgniserregendes Phänomen: der Verdrängung der Nacht.

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NDR Reporterin Stella Kennedy. © NDR Foto: Daniela Vagt

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Das stetige Verschwinden der Dunkelheit

Weißt du, wie viele Sternlein stehen...? Nein! Zumindest von uns Städtern weiß das niemand so genau. Denn obwohl 'Nachthimmel' eine ähnliche gegebene Konstante ist wie die Elemente, die Gezeiten, wir selbst. Der natürliche Nachthimmel wird immer seltener. Ich spreche von jenen Sternennächten, die einem den Atem rauben. Spätnachts auf dem Land, eine wolkenfreie Stunde, die Luft voll mit schlafendem Frühling und dann der Blick zum Himmel. Diese Pracht. Diese abertausende von Lichtpunkte. Dieses gigantische sternenüberzogene Zelt unter dem wir unsere vergleichsweise winzig kleinen Leben frönen. Und das soll es bald nicht mehr geben?

Nachts wird es nirgendwo mehr richtig dunkel

Tatsächlich behaupten die Astronomen im Land: In Schleswig-Holstein wird es nachts nirgendwo mehr richtig dunkel. Satellitenbilder der NASA hätten gezeigt, wie der nächtliche Schein Hamburgs, aber auch die hellen Lichter von Lübeck, Kiel, Neumünster und Flensburg unsere Region nachts illuminieren. Aber auch Kleinstädte, der Nord-Ostsee-Kanal oder Schiffe auf Nord- und Ostsee könnte man vom Weltraum sehen. Einerseits ist diese Verdrängung der Nacht eine Ernüchterung für jeden romantischen Sternengucker. Andererseits bedeutet sie aber auch Gefahr. Denn nicht nur brauchen wir Menschen die Dunkelheit zur Erholung; die Tier- und Pflanzenwelt ist schlichtweg darauf angewiesen.

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Milliarden Insekten brauchen die Nacht

Wer einmal im Flugzeug sitzend über die nächtliche Welt geglitten ist, wird das Bild nicht vergessen. Straßen, Autos, Gewerbe- und Industriearealen, Sport- und Freizeitanlagen, Laser und Skybeamer... unter einem liegt ausgebreitet der vom Mensch dicht besiedelte Teppich Erde. Scheinbar jeder Winkel ausgeleuchtet. Die Nacht zum Tag machen, die Devise der vergangenen Jahrzehnte. Bei allem ausleuchten, der Sicherheit wegen, der Optik - oder der Werbung (siehe Hotel), haben wir mal wieder vergessen, wer noch so um uns herum existiert. Besonders für Insekten, Vögel und Fledermäuse seien unsere immer helleren Nächte tödlich, sagen Naturschutzverbände wie der NABU. Jährlich sterben Milliarden von Insekten an den Folgen unserer Lichtverschmutzung. Dabei gibts viele kluge Ideen.

Effizientes Lichtmanagement 

Verschiedene Städte in Deutschland (zum Beispiel Dortmund) und Europa hätten schon erfolgreich demonstriert, "dass sich durch den Einsatz effizienter Leuchtmittel, moderner Lichttechnik und intelligenter Steuerungsgeräte der Energieverbrauch und die Kosten für die öffentliche Beleuchtung über 50 Prozent reduzieren lassen" sagt der NABU. Das Stichwort hierbei: ökologische Stadtbeleuchtung. Andere wieder bekämpfen Lichtverschmutzung mit ihren eigenen Waffen. Vermarkten die dunkle Nacht als Alleinstellungsmerkmal, als "Unique Selling Point" einiger Orte. Da gibt es unter anderem die Inseln Pellworm (Kreis Nordfriesland) und Spiekeroog (Kreis Wittmund), die von der International Dark-Sky Association (IDA) 2021 als erste Sterneninseln Deutschlands anerkannt wurden. Da gibt es das Projekt Sternenpark Wendland.Elbe.

Der trügende (Licht-)Schein

Abschließend lässt sich feststellen: Die dunkle Nacht ist ein rapide schwindendes Natur- und Kulturerbe. Sie also zu schützen, ist aktiver Umweltschutz und wirkt Arten- und Insektensterben entgegen. Das TikTok-Video der vermeintlichen Polarlicht-Sichtung von Karim und Sully wurde inzwischen übrigens mehr als sechs Millionen Mal angesehen. Die beiden waren wohl schon im Januar vergeblich in Island gewesen, um die Nordlichter zu sehen, und scherzten, dass sie enttäuscht seien, sie jetzt in Norwich "wieder verpasst" zu haben. Der Himmel als Leinwand für kostenlose Unterhaltung? Der Schein trügt, so viel steht fest.

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